Dieses Jahr feiern wir 45 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und China. 1972 wurden die diplomatischen Beziehungen aufgenommen und seither vertritt Deutschland die Ein-China-Politik. Deutschland ist Chinas wichtigster Partner für Wirtschaft und auch Politik in Europa. Seit dem Staatsbesuch des neuen Staatspräsidenten Xi Jinping in Deutschland im März 2014 werden die deutsch-chinesischen Beziehungen als „umfassende strategische Partnerschaft“ bezeichnet. Die Beziehungen sind freundschaftlich und gut.
Anlässlich des 45-jährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen ist am Mittwoch vergangener Woche in Beijing eine Reihe von Veranstaltungen unter dem Titel „China heute - Zusammenarbeit, Freundschaft und gemeinsamer Erfolg“ vorgestellt worden. In Deutschland ist ein umfangreiches Kulturprogramm zu China mit über 80 Projekten geplant. Über 30 deutsche Städte beteiligen sich mit verschiedenen Kulturveranstaltungen zu China daran. Auch in China sind Veranstaltungen zu Deutschland geplant, unter anderem eine große Kunstausstellung deutscher Gegenwartskünstler in Peking, die auch von der Bundesregierung unterstützt wird.
Doch was verlangt eine solch lange positive Entwicklung von den beteiligten Parteien?
Am Anfang steht das ZUHÖREN. „Wir haben zwei Ohren, aber nur eine Zunge“. Sollten wir nicht mehr zuhören und weniger reden? Das chinesische Zeichen für „hören“ und „zuhören“ heißt TING. Befassen wir uns näher mit der Bedeutung des Zeichens, nähern wir uns auch der chinesischen Kultur in Bezug auf ihr Verständnis vom aktiven Zuhören. Erkennen wir die einzelnen Elemente, aus denen das Zeichen zusammengesetzt ist, wird uns die volle Bedeutung und dahinter liegende Weisheit bewusst. Das Zeichen TING wurde schon vor 1000 Jahren in dieser Form benutzt.
Betrachten wir doch einmal die sechs Elemente, aus denen das Zeichen zusammengesetzt ist:
Das Ohr ( 耳 ): Das Ohr repräsentiert die Idee des Hörens inklusive der Aussage, Intonation und Lautstärke. Durch die Kombination können wir die Gefühle und den Verfassungszustand unseres Gegenübers encodieren.
Der König ( 王 ): Der König symbolisiert die hohe Wertschätzung, die wir der Person zukommen lassen (sollten), welcher wir zuhören.
Die Zahl 10 ( 十 ) in Verbindung mit dem Auge ( 目 ): zehn Augen richten sich auf Mimik und Gestik des Redners, um alle non-verbalen Informationen zum Gesagten aufzunehmen und im Kontext zu verstehen und richtig zu deuten.
Die ungeteilte Aufmerksamkeit in Form der Zahl 1 ( 一 ): Wenn wir jemandem zuhören, dann sollten wir unsere ungeteilte Aufmerksamkeit auf ihn richten. Oft gehen uns andere Gedanken durch den Kopf oder wir verrichten andere Tätigkeiten neben dem Zuhören. Das vermindert die Aufnahmefähigkeit und führt zu lückenhaftem oder falschem Verstehen. Frühzeitiges Unterbrechen oder ins Wort fallen, weil wir glauben unsere Antwort bereits zu kennen, kann zu Missverständnissen führen. Das aktive Zuhören fordert laut dem chinesischen Element „eins“ aber unsere volle Aufmerksamkeit beim Zuhören.
Das Herz ( 心 ): In der chinesischen Philosophie der Sprache, gehört das Herz zum Zuhören dazu, denn ohne unser Herz hören wir nur einen Teil des Gemeinten. Wir benötigen das Herz für das emphatische Zuhören.
„Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar“.)
(Antoine de Saint-Exupery)
Betrachten wir im Nachgang die Elemente, aus denen sich ein einziges chinesisches Wort für "hören/zuhören " zusammensetzt, veranschaulicht uns dies die unmissverständliche Sichtweise eines Chinesen auf die Bedeutung des Zuhörens. Über die Sprache erhalten wir Zugang zu kulturellen Werten, die uns anderweitig verschlossen bleiben.
Sprache ist ein wichtiger Bestandteil einer jeden Kultur, aber im Chinesischen hat die Schriftsprache durch den Symbolcharakter eine viel tiefere Sinnhaftigkeit als zum Beispiel in der phonetisch ausgelegten lateinischen Schrift.
Hören wir einander bewusster zu, können wir auch zwischen den Zeilen lesen lernen. Dies ist besonders in der stark kontext-ausgerichteten chinesischen Kultur wichtig, um Informationen, die nicht ausgesprochen wurden, zu erkennen und zu verstehen. Reden Sie mehr mit Ihren chinesischen Kollegen und Partnern und versuchen Sie es einmal mit dem „chinesischen Zuhören" (Pinyin: ting, 聽 ).
Weiterführende Informationen zu interkulturellen Seminaren, Übersetzungen und Sprachunterricht für Chinesisch, Oder schreiben Sie uns an mail@bridge2culture.de oder rufen Sie an (040-18190525).
Bis zum nächsten Brückenschlag,
Ihre Olivia Merz
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TRATZING (Montag, 20 Februar 2017 15:54)
Ein sehr interessanter Beitrag.
Vielen Dank.
Yan Yan (Montag, 07 August 2017 14:16)
Liebe Frau Merz,
ich finde Ihre Seite und Ihre Blogeinträge äußerst interessant und fachlich sehr kompetent! Ich selbst bin gerade dabei etwas Ähnliches in Österreich aufzubauen. Wenn ich mir Ihre Seite anschaue, liegt wohl noch ein langer Weg vor mir :-)
Alles Gute und herzliche Grüße aus Österreich,
Yan Yan